Damals wie heute: DIE SÜDTIROLER AUTONOMIE – AUCH EINE FAMILIENANGELEGENHEIT

Im Holzner wird seit 112 Jahren Geschichte erlebt und geschrieben. Und durch alle Höhen und Tiefen, durch alle Blütezeiten und Krisen hindurch wächst es und wird zunehmend zu dem, was es liebenswert und besonders macht: Ein Ort der Freude und des Atemholens für alle Generationen, damals wie heute. Lesen Sie diesmal, wie sich Südtirol über Jahrzehnte hinweg seine Autonomie erkämpft hat und wie unser Großvater dabei seine Finger im Spiel hatte.
v.l.n.r. Klaus, Marianne, Paul, Pia, Elisabeth, Franz und Thomas Widmann 1962
v.l.n.r. Klaus, Marianne, Paul, Pia, Elisabeth, Franz und Thomas Widmann 1962
Bereits 1919 wird Südtirol Österreich aberkannt und an Italien angeschlossen. Nach Jahrzehnten rigoroser Italianisierungsversuche durch die italienischen Faschisten, unterzeichnen der italienische Ministerpräsident Alcide Degasperi und der österreichische Außenminister Karl Gruber 1946 das „Pariser Abkommen“, das der Südtiroler Bevölkerung besondere Maßnahmen zur Erhaltung des Volkscharakters sowie der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung zusichert, so auch Schulen in der Muttersprache, Gleichberechtigung bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst und als wichtigste Klausel die Gewährung einer Autonomie an die Bevölkerung der Provinz Bozen.

Als 1948 das erste Autonomiestatut genehmigt wird, ist klar, dass die Südtiroler weiter von der Selbstverwaltung träumen müssen: Die beiden Provinzen Bozen und Trient sind kurzerhand zu einer Region Trentino-Südtirol mit einem regionalen Parlament und einer Regionalregierung zusammengeschlossen worden. Die Selbstverwaltung liegt also in den Händen der italienischen Mehrheit des Trentino. Erst 1955, als Österreich außenpolitisch wieder voll handlungsfähig wird, wird der Druck auf die italienische Regierung, die Durchführung des Pariser Vertrags voranzutreiben, erhöht. 1960 setzt der österreichische Außenminister Bruno Kreisky nach unfruchtbaren Gesprächen mit den italienischen Stellen das Südtirol-Problem auf die Tagesordnung der 15. UNO-Vollversammlung. Es wird aber weitere 12 Jahre dauern bis das zweite Autonomiestatut in Kraft tritt.

In Südtirol selbst schwankt die Stimmung indessen zwischen Resignation und Aufbegehren, als sich 1956 mit Hans Dietl der erste SVP (Südtiroler Volkspartei)-Abgeordnete aus der Regionalregierung zurückzieht und damit ein Zeichen setzt. In der eigenen Partei als „Radikaler“ isoliert, klopft es eines Tages an seiner Tür, davor steht der junge Bozner Obstbauer Franz Widmann mit seiner Frau Pia, die Eltern von Marianne, Großeltern von Wolfgang Holzner.

Franz Widmann und Hans Dietl werden Verbündete und enge Freunde, außerdem werden sie die Drahtzieher des Umbruchs, der in Südtirol stattfinden soll. Geheime Treffen mit Gleichgesinnten, und monatelange Fahrten durch Südtirol folgen. Ziel ist es, die alte Garde der Parteispitze, die in den Augen von Widmann, Dietl und vielen anderen zu zahm und manierlich agiert, bei der im Frühjahr anstehenden Neuwahl der SVP-Spitze abzusetzen und durch junge, mutigere Kandidaten zu ersetzen. Der Umsturz gelingt, alle von Widmann und Dietl favorisierten Kandidaten übernehmen die Parteileitung, Silvius Magnago wird wie geplant Obmann der SVP.

Nachdem 1957 Pläne der italienischen Regierung zur Ansiedlung von über 5.000 italienischen Arbeitern bekannt werden, befürchtet man die zunehmende Marginalisierung der deutschen und ladinischen Bevölkerung. Daraufhin versammelt die Südtiroler Volkspartei 35.000 Menschen bei der Großkundgebung von Sigmundskron und fordert eine Loslösung der Provinz Bozen von der Provinz Trient und weckt damit erstmals auch internationales Interesse an der Südtirolfrage.

Der Druck auf die italienische Regierung erhöht sich zusehends, einerseits durch die österreichische Regierung, andererseits durch die UNO-Vollversammlung, die von den Italienern die Umsetzung des Pariser Vertrags fordert. Die von der BAS, dem Befreiungsausschuss Südtirol, verübten Bombenattentate, die in erster Linie auf die Beschädigung von Staatseigentum wie Strommasten abzielen, verschärft den Konflikt und treibt die diplomatischen Verhandlungen weiter an. Wegen ihrer Verstrickung in die Untergrundaktivitäten, schläft die Franz Widmann zu dieser Zeit oft voll bekleidet, die Reispapiere bei der Hand, sollten Polizei und Geheimdienst ihnen doch auf die Schliche kommen und in einer nächtlichen Aktion das Heim der Widmanns stürmen. Dank Franz’ Arbeit im Hintergrund als einfacher Parteifunktionär bleibt die Familie aber gottseidank verschont.

Ab 1961 arbeiten dann bereits verschiedene Kommissionen Maßnahmen für die Umsetzung des Pariser Vertrags aus, die 1969 endlich als sogenanntes Südtirol Paket von allen beteiligten Interessensgruppen genehmigt werden. Nach der SVP-Landesversammlung zum Abschluss der Paket-Verhandlungen zieht sich Franz Widmann aus der Politik zurück. 1972 tritt das Zweite Autonomiestatut für Südtirol in Kraft, das eine weitreichende Selbstverwaltung des öffentlichen Lebens bis heute ermöglicht.

Unser Großvater widmete sich in den folgenden Jahrzehnten einem Mammutwerk über die Geschichte Südtirols zwischen 1945 und 1972, das 1998 unter dem Titel „Es stand nicht gut um Südtirol“ erschien. Er lebte glücklich und zufrieden mit seiner Pia zuerst in Bozen, dann nicht weit vom Holzner entfernt in Oberbozen, wo er seiner großen Familie beim Wachsen zusah, und zum Entzücken seiner 31 Enkel und zehn Urenkel ganz vorzüglich mit den Ohren wackeln konnte und von den bewegten Zeiten erzählte, die er maßgeblich mitgeprägt hatte. Mit stolzen 91 Jahren starb er 2012 zuhause im Kreis seiner Lieben.
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